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Kaum nähert sich das neue Jahr, träumt man von Neuanfängen. Doch bevor etwas Neues beginnt, muss man das Alte erst beenden. Der Jahresausklang ist eine gute Zeit dafür. Zeit zum Abschiednehmen. Zeit fürs Schlussmachen.

Dunkel sind sie und lang, die Nächte im Dezember. Zu lang für die meisten. Die wenigen Tageslichtstunden sind düster, der Übergang zur Dämmerung kaum spürbar. Die Wintersonne hat sich verabschiedet, zäh liegt der Nebel über Stadt und Land. Eine verführerische Stimmung, um sich zu verkriechen. Einzubunkern. Sich abzukapseln, der Welt da draußen zu entfliehen und unbeweglich in Situationen zu verharren, die genauso unveränderlich scheinen wie der hartnäckige Nebel. Der Job, der nicht ausfüllt. Die Beziehung, die nicht glücklich macht. Die Gewohnheiten, die nicht guttun.

Stillstand, den man als Teil des Lebens akzeptiert hat. Dem man sich hingegeben hat, weil er verlässlich ist und man Verlässlichkeit schon zu lange mit Sicherheit verwechselt. Den man nicht hinterfragt, um sich selbst zu schonen. Zieht man zu Silvester eine Jahresbilanz, lässt man zwischen Lachsbrötchen, Bleigießen und dem Feuerwerk die großen Fragen meist aus. Man will sich nicht den Abend zerstören. Man will nicht darüber nachdenken, zu gehen. Wer geht, hat aufgegeben, hingeschmissen, resigniert. Da wird man lieber gegangen.

Etwas zu beenden wird schnell mit Versagen gleichgesetzt. Du hast dich nicht genug bemüht. Plötzlich hat man die Stimmen der schlechten Lehrer wieder im Ohr. Und hört auf sie. Statt ihnen etwas entgegenzusetzen. Ich habe es versucht, aber ich kann es nicht. Oder: Ich kann es, aber ich will es nicht mehr.

Stattdessen hält man an einer Beziehung fest, die einsam macht. Und das vor allem in Gegenwart des anderen. Zusammen ist man nur noch mehr allein. Da werden melancholisch Erinnerungen hervorgekramt, an die man sich klammert. Ängstlich, weil man fürchtet, keine neuen mehr schaffen zu können. Mit einem anderen Menschen, in einem anderen Leben, das man sich erst aufbauen müsste, für das es jedoch noch keinen Bauplan gibt.

Dafür kennt man den Grundriss des Büros auswendig. Man findet blind den Weg von der schweren Eingangstür zum Arbeitsplatz. 23 Stufen oder ein Liftstock, vorbei am Kopierer, der Küche, nach links. Mit dem alten Chef war es noch eine Vernunftehe, mit dem neuen spricht man nur noch das Notwendigste. Alle Herzblutprojekte werden abgeschossen, der Personalstand ohnehin schon reduziert. Aber man mag die Kollegen, man mag den Geruch des Sitznachbars, den Mittagstisch, das Salatbuffet, die schlechten Witze des Kellners.

Man lebt in unsicheren Zeiten und wer wartet schon auf einen? Da draußen, wo die Nächte jetzt so lange sind und die Tage trüb.

Wer geht, ist nicht beliebt. Weil er zeigt, dass nicht alles gut bleibt, was gut ist. Weil er sichtbar macht, dass es ein Ende gibt. Weil er andere unglücklich macht und traurig. Man will auch deshalb nichts und niemanden verlassen, weil man selbst nicht verlassen werden möchte.

Zumindest nicht, wenn man nicht genau weiß, warum. Wie es so weit kommen konnte, man nichts dagegen getan hat und man es schlussendlich auch nicht verhindert hat. Also lässt man nicht los, sondern grübelt. Rekonstruiert wie ein Detektiv die Vergangenheit, zerlegt sie und setzt sie noch einmal zusammen. Als könnte man Geschehenes dadurch verändern. Man sagt sich selbst, dass man es nochmal wissen will. Es noch einmal versuchen möchte. Und übersieht, dass man das nicht allein entscheiden kann. Das Grübeln wird zum Dauerzustand. Die Trauer unbewältigbar. Weil der Abschied noch vor einem liegt.

Man macht nicht Schluss. Man hofft darauf, dass es von selbst zu Ende geht. Man wartet ab aus Angst, dass nichts und niemand anderer auf einen wartet. Und übersieht dabei, dass man sich selbst vergisst.

5 Kommentare zu “Aus. Ende. Vorbei.

  1. Pingback: Zeit fürs Schlussmachen – mkln.org

  2. Weil ich es mir schon länger vorgenommen habe und weil es sich heute ergeben hat: eine Rundreise mit der Bahn: Salzburg – Wien – Semmering – Leoben – Bischofshofen – Salzburg. Schreiben, Lesen, Sehen, Hören, …
    Oder: Eine Flucht die sich im Kreise dreht.
    Und dieser Blogeintrag am Beginn.
    Wunderbar.
    Dankeschön Frau Kaufmann und alles Gute zum Abschluss!

  3. Doch bevor etwas Neues beginnt, muss man das Alte erst beenden. Das kann man auch andersrum formulieren: Ist der Tod nicht ebenso mit dem Leben verbunden, wie die Geburt?

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